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Wer Flügel hat, braucht keine Beine

Als Buch hier erhältlich:

»Die wohl wichtigste und schönste Reise ist die zu dir selbst.«
Wie wir es schaffen, im Vertrauen zu bleiben und unserem Herzen zu folgen

Christina hat drei Schicksalsschläge innerhalb eines Jahres durchlebt. Seitdem lebt sie ihre Message: »Wenn wir unserem Herzensweg folgen, werden unsere Möglichkeiten grenzenlos.« Mit ihrer Geschichte möchte sie uns zeigen, wie auch wir unsere Träume verwirklichen können – egal, was im Leben passiert.

Wie schafft man es, in den schlimmsten und schmerzhaftesten Momenten, den Mut nicht zu verlieren und weiter an sich selbst zu glauben?

Christina erklärt eindrücklich, warum es im Leben nicht darauf ankommt, was einem widerfährt, sondern wie man darauf reagiert. Gerade in den Momenten größter Verzweiflung, haben wir die Chance unser wahres Selbst zu finden und ganzheitliche Heilung zu erfahren.

Ein Buch, das authentisch beschreibt, wie es ist, vom Schicksal mehr als nur einmal durchgerüttelt zu werden – und dabei doch nie den Glauben ans Leben und das Unmögliche zu verlieren.

»Großartig, wie Christina mit ihrer positiven Ausstrahlung und ihrer Lebensfreude die Menschen motiviert.«Andrea Polei für ARD Brisant

»Mit unglaublicher Kraft und einer ungebrochen positiven Einstellung hat sich Christina ihr Leben zurückerobert.«Bild.de

»Offen, lebendig und inspirierend schreibt Christina Wechsel über ihr bewegtes Leben.« IN Leute Lifestyle Leben


  • Erscheinungstag: 23.03.2021
  • Seitenanzahl: 272
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749900237

Leseprobe

Dieses Buch widme ich allen Reisenden.

Intro

Mühsam schlage ich die Augen auf und spüre sofort die flirrende Hitze, die erbarmungslos auf mich herunterknallt. Ich versuche mich vorsichtig zu bewegen, aber es geht nicht. Als müsste er sich erst einen Weg durch die zähe Hitze schneiden, dringt der Gedanke ganz langsam in meinen Kopf, dass hier etwas nicht stimmt. Aber was? Wo bin ich? Warum liege ich neben einem Auto, und warum ist es so verdammt heiß? Bevor ich mir jedoch diese Fragen beantworten kann, werde ich wieder ohnmächtig.

Das Auto stand auf einer geraden Straße, die sich scheinbar endlos hinzog, umgeben von rotem Sand und Geröll. Ab und an wehte der heiße Wind wie im Western ein paar trockene Sträucher träge hin und her, ansonsten war hier absolut nichts, hier im australischen Outback. In dieser Stille war nicht einmal das Summen einer Fliege zu hören, am Horizont flimmerte die Hitze, und ganz selten sah man in der Ferne ein Känguru vorbeispringen. Ebenso selten tauchten Schilder mit Informationen wie »Nächste Tankstelle in 400 km« auf oder gar Gegenverkehr. Diese unendliche Weite und Abgeschiedenheit war das perfekte Setting für ein großes Abenteuer – und ein ebenso schlechtes für einen Unfall.

Als ich gemeinsam mit meiner Freundin Valerie, meinem Kumpel Ronny und einer Backpackerin namens Marie zu diesem Abenteuer durch das australische Outback aufbrach, hatten wir nur ein Ziel: den Ayers Rock bzw. den Uluru, wie die australischen Ureinwohner ihren »Heiligen Berg« nennen. Den Tag zuvor hatten wir noch in Coober Pedy verbracht, der verrücktesten »Stadt«, die ich bisher gesehen hatte. Das hatte der Start für drei aufregende Wochen im Outback werden sollen.

Als ich das nächste Mal zu mir komme, höre ich Valeries Stimme, es klingt wie: »Mein Arm, mein Arm!« Ich frage: »Wo bin ich?« Marie antwortet mir: »Du bist in Australien, im Outback, wir hatten einen Unfall.« – »Wieso denn in Australien? Ich wohne in München!« Dann versinke ich wieder in der Ohnmacht. Der nächste Erinnerungsfetzen, der mir von diesem Tag bleibt, ist das fehlende Gefühl in meinen Beinen. Panik ergreift mich. Mühsam hebe ich den Kopf und sehe, dass meine Beine voller Blut und meine Fersen zerfetzt sind. Durch die Bewegung spüre ich, dass ich wohl schwere innere Verletzungen habe, dass da in meinem Unterleib etwas kaputt ist. Später erzählt man mir, dass ich laut nach meiner Mutter gerufen hatte, immer wieder: »Mami, hilf uns!« Obwohl ich immer wieder mein Bewusstsein verliere, spüre ich intuitiv, dass etwas nicht stimmt – weder mit mir noch mit Ronny.

Das Auto überschlug sich bei dem schweren Unfall mehrmals. Die Türen der linken Seite, wo ich und Ronny saßen, wurden durch die immense Wucht weggerissen. Als es auf den Reifen zum Stehen kam, hing ich aus dem Auto, der Gurt schnürte mir die Kehle zu, und ich drohte zu ersticken. Marie, die gefahren und wie durch ein Wunder nicht allzu schwer verletzt worden war, löste den Gurt und legte mich auf den Boden. Dass sie anschließend trotz ihres offenen Armbruchs verzweifelt versuchte, Ronny mit einer Herzmassage wiederzubeleben, bekam ich nicht mit. Doch instinktiv spürte ich, dass etwas Schlimmes passiert war.

»Was ist mit Ronny?« – eine der ersten Fragen, die ich der Ersthelferin am Unfallort stelle, als sie mir zitternd eine Halskrause anlegt. Sie sieht mich unfassbar traurig an und flüstert: »Es tut mir so leid … Er hat es leider nicht geschafft.« Ich schreie.

Sechs Stunden nach dem Unfall wurden wir von den »Flying Doctors« ins Krankenhaus nach Adelaide geflogen. Ich blickte den Arzt an, der vorsichtig meinen gesamten Rücken abklopfte, und es nahm mir fast die Luft zum Atmen, die Frage zu stellen: »Werde ich jemals wieder laufen können?«

Von Geburt an eine Reisende

Schicke das Kind, das du liebst, auf Reisen. Von den Erfahrungen her kommt nichts im Leben dem Reisen gleich.

JAPANISCHES SPRICHWORT

Wie gebannt starrte ich auf den kleinen weißen Zettel, der am Badezimmerspiegel meines Klassenkameraden Jakob hing. Das Wasser lief unaufhörlich über meine Hände, draußen waren laute Musik und typischer Partylärm zu hören. Doch ich bemerkte es nicht. Ich konnte nur noch diese zwei Zeilen anstarren. Klar, wir alle stolpern mal über Zitate, Sprüche, Lebensweisheiten, die uns ansprechen. Bei denen man denkt, »Oh, das klingt aber schön, das muss ich mir merken.« Aber das hier war anders. In diesem Moment – während dieser Hausparty, im Badezimmer meines Schulfreundes – wurde ich an etwas erinnert. Daran, wie wichtig es mir war, die Welt zu sehen. Neue Kulturen, Menschen und Orte kennenzulernen. Zu reisen, um letztlich zu mir selbst zu finden. Dieser Spruch inspirierte mich zutiefst, weil mir schon damals bewusst war, dass es im Leben darum ging, Erfahrungen zu sammeln. Denn die Summe dieser Erfahrungen macht einen Menschen aus. Ich kramte einen Zettel aus der Tasche und schrieb das Sprichwort ab. Wer sich jetzt fragt, warum ich es nicht einfach mit dem Smartphone fotografiert habe: Es war 1999, und Smartphones befanden sich noch in weiter Ferne. Meinen Zettel klebte ich mir zu Hause an meinen eigenen Badezimmerspiegel. So wurde ich jedes Mal, wenn ich mich selbst darin erblickte, daran erinnert, dass noch viele Reisen auf mich warteten. Heute würden wir diesen Spiegel als Visionboard bezeichnen. Und meine Vision war klar: Ich wollte die Welt sehen!

Die Liebe zum Reisen kommt bei mir nicht von irgendwoher, sie ist sozusagen in meiner DNA verankert. Meine Eltern wanderten beide in jungen Jahren nach Kanada aus – mein Vater aus Deutschland, meine Mutter aus der Schweiz. In einem Tennisclub in Montreal liefen sie sich dann zufällig über den Weg und waren von diesem Moment an unzertrennlich. Zwei Weltenbummler, die sich fernab der Heimat kennen und lieben lernten. Und so erblickte ich am 12. April 1981 im Montreal General Hospital das Licht der Welt (jedes Jahr erzählt mir mein Papi an meinem Geburtstag von dem unglaublichen Sonnenaufgang, in den ich sozusagen hineingeboren wurde). Zwei Jahre später kam mein Bruder Thomas dazu.

Mich hätte man wohl heute als äußerst hyperaktives Kind bezeichnet, denn ich hatte nicht nur Hummeln, sondern ganze Hummelschwärme im Hintern. Ich konnte nie still sitzen und habe nie verstanden, warum man ging, wenn man doch rennen konnte. Es kam nicht selten vor, dass Mami in die Kinderkrippe zitiert wurde, weil ich mal wieder die ganze Truppe aufgemischt hatte. Und so sahen meine Eltern nur einen einzigen Weg, um die Hummeln frei fliegen zu lassen: Sie meldeten mich in jedem erreichbaren Sportverein an.

Als ich drei Jahre alt war, zogen wir nach Korfu. Mein Vater arbeitete dort als Hotelmanager, und so verbrachten wir drei Jahre auf dieser wunderschönen griechischen Insel. Ich erinnere mich an ausgelassene Tage am Strand, an denen wir im Sand buddelten, im Meer schwammen, es einfach unbeschwert angehen ließen. In Griechenland hatte ich auch das erste Mal einen Tennisschläger in der Hand – auch wenn ich da noch nicht ahnen konnte, wie viel mir dieser Sport später mal bedeuten würde. Auf jeden Fall machten es meine Hummeln dem Tennislehrer auch hier nicht wirklich leicht, und seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, als ich lieber den umherflatternden Schmetterlingen als dem Ball hinterherlief.

Auf Korfu besuchte ich die Vorschule und merkte jeden Tag, wie anders das Leben hier war als in Kanada. Ich erinnere mich an einen Vormittag, als wir in der Vorschule saßen und es draußen zu hageln begann. Es wurde ganz dunkel, der Wind peitschte die Bäume umher, und plötzlich fielen weiße, kalte Hagelkörner vom Himmel. »Es schneit, es schneit!« – meine Klassenkameraden waren ganz aufgeregt und drückten sich die Nasen am Fenster platt. Ich musste lachen, denn ich kam aus Kanada und hatte natürlich schon echten Schnee gesehen – in rauen Mengen.

Bald darauf ging es nach Kanada zurück, und ich wurde in die deutsche Schule in Montreal eingeschult. Was mich dort besonders prägte, war, dass meine Klasse – wie die ganze Stadt – so wahnsinnig multikulti war. Da saß der jüdische Schüler neben dem arabischen, die Irin neben der Philippinerin, der Japaner neben der Deutschen. Uns verband eine Sache: Wir alle waren Kanadier*innen. Ganz egal, woher die Familie ursprünglich stammte: Wird man in Kanada geboren, ist man Kanadier*in. Punkt! Unsere Familie war ein hervorragendes Beispiel dafür, wie gut das kanadische Multikulti funktionierte, denn mein Vater eröffnete ein Restaurant mit bayerischer, österreichischer und Schweizer Küche. Und die Leute fuhren teilweise 60 Kilometer für ein Stück Apfelstrudel.

Als ich dann acht Jahre alt war, zogen wir nach Deutschland. Wir hatten zuvor schon oft unsere Familien im Allgäu und in der Schweiz besucht – einer der Gründe, warum ich bereits mit drei Jahren das erste Mal auf Skiern gestanden hatte –, und jetzt sollte es mehr werden als nur ein kurzer Weihnachtsbesuch. Mein Vater bekam die Leitung eines neuen Hotels am Münchner Flughafen angeboten, und Mami hatte Heimweh nach der Schweiz. Während der Umzug für meine Eltern eine Art Rückkehr zu ihren Wurzeln war, war er für mich ein Schock: vom urbanen Montreal in ein kleines bayerisches Dorf, von einer international geprägten Schule in eine, in der tiefstes Bayerisch gesprochen wurde und meine Mitschüler mich wegen meines starken Akzents aufzogen. »Kaff da mal a Packerl Deutsch!« Ich verstand weder, was sie sagten, noch konnte ich nachvollziehen, warum man wegen der Sprache gehänselt wurde. Kurzum, ich fühlte mich fremd und hatte großes Heimweh nach Kanada. Mein bester Freund in dieser Zeit war mein Bruder. Durch die ganzen Umzüge waren wir immer wieder »die Neuen« in der Schule gewesen, was uns zusammengeschweißt hatte. Allerdings gab es noch eine weitere Sache, die mir das Leben in der neuen Heimat einfacher machte: der Sport.

Sport als Schlüssel zur Gemeinschaft

Der Sport half mir in dieser Zeit, in der ich mich fremd und allein fühlte. Er besänftigte nicht nur meine Hummelschwärme, sondern ich wurde auch Teil von etwas: Ich war Mitglied im Schwimmverein und spielte in der Tennismannschaft jeden Samstag im Sommer Punktspiele. Ich liebte diese Kämpfe auf dem Platz sogar bei flirrender Hitze, um anschließend glücklich und erschöpft den roten Sand von meinen Beinen zu waschen. Und ich liebte es, Teil eines Teams zu sein. Was mich am Tennis schon immer faszinierte, war die mentale Stärke, die man für diesen Sport braucht. Ich erinnere mich an ein Spiel, bei dem meine Gegnerin körperlich wesentlich stärker war als ich – und so führte sie im ersten Satz mit 5:1. Normalerweise gibt man in einer solchen Situation den ersten Satz auf, um Kraft für den nächsten zu sparen, aber das kam für mich nicht infrage. Ich wollte es wissen – und ich motivierte mich selbst so sehr, dass ich diesen ersten Satz letztlich mit 7:5 gewann. Ich verlor keines der sechs Spiele und verunsicherte so meine Gegnerin dermaßen, dass ich auch den zweiten Satz gewann. In dieser Situation lernte ich eines: Wenn du mental stark bist, kannst du körperlich alles schaffen. Wie wichtig diese Erkenntnis in meinem späteren Leben noch sein sollte, konnte ich damals nicht ahnen. Aber dass der Kopf, das Mentale, der Schlüssel zum Erfolg ist, ist mir seit diesem Tag klar. Und etwas anderes kristallisierte sich heraus: Das Motivieren anderer lag mir – und so wurde ich Mannschaftsführerin. Ich war nun also diejenige, die am Abend vorher auf der Party die Mädels einsammelte und sie daran erinnerte, dass am nächsten Morgen ein Punktspiel anstand. Umso stolzer war ich über den Aufstieg unserer Mannschaft. Neben diesen ganzen Erkenntnissen brachte mir das Tennisspiel auch eine meiner besten Freundinnen: Lena war ebenso aktiv wie ich, und endlich hatten meine Hummeln Gesellschaft! Wir spielten zusammen Doppel und wurden auf dem Platz und im wahren Leben ein unschlagbares Team.

Meine zweite Leidenschaft neben dem Tennis waren die Berge. Im Sommer fuhr ich mit meiner Familie zum Wandern nach Südtirol, im Winter ging es auf die Skipiste. Diese Liebe habe ich wohl Mami zu verdanken, als Schweizerin hatte sie sie einfach im Blut. Auch heute bedeutet es für mich die absolute Freiheit, in den Bergen zu sein – ob wandernd, kletternd oder auf Skiern. Sport war mir schon immer extrem wichtig. Hier konnte ich mich austoben, fand einen Ausgleich und wurde Teil von etwas Größerem. Seitdem ich denken kann, bin ich in schneller und andauernder Bewegung. Und keine Sekunde hätte ich mir je ausgemalt, dass die Möglichkeit, Sport zu treiben, gefährdet sein könnte.

Zürich: Eine einzige Party

Das Thema Reisen kam wieder auf, als ich mit 16 Jahren die Schule wechselte. Ich war nun in einer Klasse, die mich an meine Schulzeit in Kanada erinnerte. Nicht in Bezug auf die Nationalitäten, vielmehr herrschte hier eine ähnliche Unvoreingenommenheit. Das Thema Reisen spielte auch eine große Rolle, und viele meiner Klassenkamerad*innen gingen nach dem Abitur auf große Reise. Ich nicht. Ich entschied mich für einen konservativen Weg und beschloss, eine Lehre als Hotelfachfrau zu machen. Bereits zu Schulzeiten hatte ich im Hotel meines Vaters gearbeitet und konnte mir zu diesem Zeitpunkt keinen anderen Beruf vorstellen. Mit all den internationalen Gästen kommunizieren – im Grunde fühlte sich das schon wie Reisen für mich an! Ich saugte die Geschichten der Gäste auf und quetschte sie aus: »Wo kommt ihr her?«, »Was macht ihr in München? Gefällt es euch?«

Bevor ich mich jedoch für die Hotellaufbahn entschied, hatte ich von der Theaterschauspielerei geträumt. Den Ausschlag gegeben hatte das »Zwölftklassspiel« auf der Waldorfschule, in dem ich die Hauptrolle gespielt hatte. Auf der Bühne zu stehen und die Herzen der Menschen zu berühren faszinierte mich zutiefst. Dass ich das auf eine ganz andere Weise später ausüben würde, auch das konnte ich damals noch nicht ahnen.

Meine Mami riet mir, zunächst etwas »mit Hand und Fuß« zu machen, und so begann ich meine Ausbildung in einem Airporthotel. Eine verrückte Zeit. Es war stressig mit Schichtdiensten und einer strengen Hierarchie, aber kein Tag glich dem anderen! Man kam mit so vielen verschiedenen Menschen in Kontakt, und dass man vergessene Sexspielzeuge fand oder von einem halbnackten Spieler des FC Bayern die Tür geöffnet bekam, waren nur kleine Anekdoten aus der völlig verrückten Hotelwelt. Dennoch gab es nach wie vor diesen einen großen Traum, an den mich nicht nur der Zettel mit dem japanischen Sprichwort an meinem Badezimmerspiegel erinnerte: meine Weltreise. Da ich während meiner Reise nicht ständig arbeiten wollte, um mir den Spaß zu finanzieren, beschloss ich, erst Geld zu verdienen und dann zu starten. Und wo kann man relativ schnell doppelt so viel Geld verdienen wie an anderen Orten? Richtig: in der Schweiz. Außerdem war meine erste große Liebe gerade in die Brüche gegangen, und es sprach nichts gegen etwas räumlichen Abstand. Ich bewarb mich in einem Airporthotel in Zürich und wurde als Rezeptionistin eingestellt. Der erste Schritt auf dem Weg zu meinem großen Traum – und der Startschuss für eine unvergessliche Zeit.

Ich hatte Glück, denn drei meiner Freunde aus der Berufsschule zogen auch nach Zürich, und so erkundeten wir gemeinsam diese wunderschöne Stadt. Nahe an den Bergen gelegen mit einem traumhaften See und meinen Schweizer Verwandten in der Nähe – Zürich entwickelte sich schnell zur echten Herzensstadt. Nicht nur, dass ich nach Lust und Laune Ski fahren und wandern konnte, auch die Arbeit erwies sich als Jackpot, denn unser Team war das beste, das man sich wünschen konnte. Wir wohnten zusammen, gingen zusammen feiern und hatten wirklich die Zeit unseres Lebens. Hier gab es kein Gegeneinander, keine ausgefahrenen Ellbogen, keine Rivalitäten. Hier gab es einfach nur Teamwork – und innige Herzensfreundschaften. Zusätzlich gab es für dieses Team in Zürich etwas, das mit Anfang 20 verdammt wichtig ist: ein Hammernachtleben! Wir feierten jedes Wochenende, tanzten ganze Nächte in den Clubs durch. Da hatte ich endlich ein weiteres Ventil für meine Hummelschwärme.

Aber Tanzen war noch mehr für mich, denn es fühlte sich an, als würde ich bei mir selbst ankommen. Als wäre ich in diesen Momenten ganz tief in mir verwurzelt und würde meinen eigenen Körper endlich richtig kennenlernen. Seitdem tanze ich mit großer Leichtigkeit – ein befreiendes Gefühl. Ein absolutes Zürichhighlight und ein Symbol für die große Unbeschwertheit meines damaligen Lebens war die Street Parade, während der sich ganz Zürich in eine einzige Tanzfläche verwandelt. Viele Freunde aus Bayern kamen mich besuchen und feierten mit. Einmal war ich sogar mit meinem Kumpel Ronny, der auch Teil von Team Zürich war, zusammen auf einem Lovemobile. Ich werde es nie vergessen, wie frei ich mich fühlte, als wir bei bestem Wetter auf einem der Bühnenwagen durch die tanzende Menge vom Bellevueplatz zum Bürkliplatz fuhren. Pünktlich zum Sonnenuntergang machte dann das Lovemobile auf der Brücke halt, und es schien, als würde die Welt für einen Moment stillstehen: Südlich vor uns lag der Zürichsee mit seinen unzähligen Booten, auf denen auch Menschen feierten und tanzten. Im Hintergrund sah man die Berge, und Richtung Norden hatte man die beste Sicht auf die Wahrzeichen Zürichs: den Limmat mit dem Großmünster, die Kirche Frauenmünster und die Kirche St. Peter mit dem größten Ziffernblatt Europas. Wie sehr ich diese Stadt liebte!

Meinen 24. Geburtstag feierte ich mit 20 Leuten in meiner 19 Quadratmeter großen Einzimmerwohnung, und alle, die ich eingeladen hatte, waren gekommen. Ich weiß noch, wie ich an diesem Abend dachte, wie perfekt mein Leben doch war. Am liebsten hätte ich die Zeit angehalten und mich für immer so geliebt, so glücklich, so akzeptiert gefühlt. Auf dem »Zürifäscht« tanzte ich im Rosengarten in der Altstadt mit meinen liebsten Freunden zu elektronischer Musik, als wenn es kein Morgen gäbe.

In dieser Nacht schworen wir uns: Egal, wo in der Welt wir uns gerade aufhalten würden, egal, was uns im Leben zustoßen würde, wir würden uns alle drei Jahre wieder hier beim Zürifäscht treffen, um den besonderen und außergewöhnlichen Spirit unseres »Kreis des Vertrauens« zu feiern. Eine der wichtigsten Personen in meinem Leben war damals schon Vali, eine meiner besten Freundinnen seit der Schulzeit. Wir drückten jahrelang gemeinsam die Schulbank, paukten für die Abschlussprüfung und erlebten parallel die erste große Liebe sowie die darauffolgende erste schmerzhafte Trennung. Wir feierten gemeinsam als Singles und tobten uns auf sämtlichen Tanzflächen aus. Auch mit ihr waren meine Hummelschwärme in bester Gesellschaft. Während meiner Zeit in Zürich besuchte mich Vali regelmäßig und versprach mir, mich auf einem Teil meiner großen Weltreise zu begleiten. Dass ausgerechnet diese Reise uns für immer noch enger zusammenschweißen würde, konnten wir damals nicht ahnen.

Eines Nachts hatte ich einen Traum. Ich träumte von einer wunderschönen Landschaft, einem kristallklaren See, umgeben von Bergen, hohem Gras, das sich sanft im Wind wog, und keiner Menschenseele weit und breit. Sogar einen Tennisplatz gab es an diesem magischen Ort. Dieser Traum erinnerte mich an meine Reise. An mein Warum, den Grund, warum ich ursprünglich nach Zürich gekommen war. An dem Morgen nach diesem Traum fing ich meine Reiseplanung an. Da es viele kleine Schritte benötigt, um Großes im Leben zu erreichen, lief ich für meinen Traum los.

Ich eröffnete ein Sparkonto und überwies jeden Monat mein gesamtes Erspartes. Ich informierte mich über die verschiedenen Möglichkeiten, eine Weltreise zu machen, und entschied mich für ein »Around the World«-Ticket. Darin enthalten sind fünfzehn Flüge mit einer einzigen Bedingung: Alle Flüge müssen in eine Richtung gehen. Ich war so motiviert, dass ich einen meiner engsten Freunde für die Reise begeistern konnte: Philipp. Auch er legte sich ein Sparkonto an, und gemeinsam studierten wir an den Feierabenden die Weltkarte. Wo sollte es hingehen? Bald standen folgende Länder fest: Thailand, Vietnam, Kambodscha, Australien und Neuseeland und Kanada. Ich kann mich noch daran erinnern, als ich auf der Landkarte den australischen Ort »Surfer’s Paradise« entdeckte. Mir fiel regelrecht die Kinnlade runter, denn genauso hatte ich mir Down Under immer vorgestellt: ein Paradies mit weißen Sandstränden, auf denen Kängurus herumhüpften, Koalas in den Bäumen chillig Eukalyptus vor sich hin mampften und eine unfassbare Farbenpracht in der Unterwasserwelt des Great Barrier Reef. Eines faszinierte mich aber noch mehr: der Uluru, wie die Aborigines ihren heiligen Berg, den Ayers Rock, nennen. Wie kann in der Mitte eines so riesigen Kontinents bitte ein einzelner Berg stehen? Das kann einfach nur ein spiritueller Ort sein – den wollte ich sehen, weil Spiritualität seit meiner Kindheit eine große Rolle für mich gespielt hatte. Ein Interesse, das mir – ebenso wie die Liebe zu den Bergen – Mami vermittelt hatte.

Reiseplanung und schlechte Nachrichten

Leben ist das, was passiert, während du fleißig dabei bist, andere Pläne zu schmieden.

JOHN LENNON

Nichts im Leben ist Zufall. Alles, was uns passiert oder eben nicht passiert, ergibt einen Sinn. Aus heutiger Sicht kann ich aus tiefstem Herzen sagen, dass das stimmt, denn das haben mich meine Erfahrungen gelehrt. Aber auch als junges Mädchen habe ich fest daran geglaubt. Meine Mami war ein sehr spiritueller Mensch und hat mir früh einen Raum dafür geöffnet. Zu einer Zeit, in der Gleichaltrige das Ganze vielleicht als »Esoquatsch« abgetan hätten, wusste ich, dass ich nicht zufällig auf dieser Welt bin. Dass ich nicht zufällig das Kind dieser Eltern bin. Dass ich nicht zufällig diese, also meine Erfahrungen mache.

Mami war in allen Belangen ein sehr wichtiger Mensch für mich. Sie war meine beste Freundin, meine Ratgeberin, meine Mentorin. Egal was passierte, sie fand immer die richtigen Worte, sie war mein ganz persönlicher Herzensmensch. Auf ihre Intuition und ihren Rat konnte ich mich immer verlassen. Natürlich war ich in vielem einfach ein Teenie, der mit dem Kopf durch die Wand wollte und genau das Gegenteil machte von dem, was sie mir geraten hatte – um am Ende kleinlaut und reumütig zuzugeben, dass sie recht gehabt hatte … Aber man muss schließlich auch auf die Nase fallen und seine eigenen Erfahrungen machen, um sich weiterzuentwickeln. Trotzdem war es schön, eine so starke und intuitive Beraterin an meiner Seite zu wissen.

Ich erinnere mich noch gut an einen handgeschriebenen Zettel von ihr, der auf dem Boden lag, als ich nach Zürich zog: »Folge Deinem Herzen und suche Deine Wurzeln im Leben.« Und genau das war es, wonach ich immer suchte – allein schon aufgrund der vielen Umzüge in meinem Leben.

Als mein Vater mich also eines Tages anrief und mir sagte, dass Mami im Krankenhaus lag, zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Mein starkes Fundament, das Gefühl, so unantastbar sicher zu sein, wankte. Er erzählte mir, dass sie nachts immer öfter nur schlecht Luft bekam und dass man das nun abklären müsse. Als es zunächst hieß, es sei alles so weit in Ordnung, war die Erleichterung groß. Doch kurz darauf erhielten wir eine niederschmetternde Diagnose: Krebs. Kaum zu glauben, wie sehr fünf Buchstaben eine bislang heile Welt erschüttern können. Fünf Buchstaben, die dafür sorgten, dass wir in eine Art Schockstarre verfielen. Mami hatte Krebs in der Flüssigkeit der Pleura, also einer Flüssigkeit, die die Lunge umgibt. Als sie mir das am Telefon sagte, schossen mir tausend Gedanken durch den Kopf: »Braucht sie eine Chemo?«, »Wie stehen ihre Chancen?«, »Wird sie ihre Haare verlieren?« Einzig überschattet von dem einen Gedanken in warnenden Neonfarben: Sie ist doch viel zu jung zum Sterben!

Ich konnte nicht aufhören, daran zu denken, dass meine Eltern doch gerade kurz vor ihrem Umzug in die Schweiz standen. Jahrelang hatte Mami großes Heimweh gehabt, und endlich war ihre Wohnung in Sargans so gut wie fertig! Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Traum für sie nicht wahr werden sollte. Noch viel weniger konnte ich mir jedoch ein Leben ohne sie vorstellen. Sie durfte einfach nicht sterben. Punkt! Zu diesem Zeitpunkt war ich 22 Jahre alt, und das Thema Krankheit hatte in meinem Universum keine Rolle gespielt. In meinem Leben drehte sich alles um Familie, Freunde, meine Arbeit, Partys und meine bevorstehende Weltreise. Krankheit und Tod kamen mir unendlich weit weg vor. Am Telefon war Mami so positiv, und sie versicherte mir, dass sie den Kampf gegen den Krebs gewinnen und wieder gesund werden würde. Sie war schließlich eine Kämpferin, und überhaupt sei die Diagnose für uns Familienmitglieder viel schlimmer als für sie selbst. Wir sollten alle positiv sein, nur das würde ihr Kraft geben. Somit war ich einigermaßen beruhigt. Sie würde wieder gesund werden, na klar, etwas anderes kam schließlich überhaupt nicht infrage! Ich versuchte, das Beste aus der Situation zu machen und mich abzulenken. Ich stürzte mich also in die Arbeit und meine neue Position als Schichtleiterin, traf meine Freunde, machte Party. Meine Weltreise legte ich erst einmal auf Eis.

Mami begann alle notwendigen Therapien. Bei jedem Besuch zu Hause fiel mir auf, dass sie immer dünner und schwächer wurde – ein schlimmer Anblick, was die Krankheit aus dieser starken Person machte. Nur ihre Worte, dass sie überzeugt davon war, gesund zu werden, und dass es ihr nicht helfen würde, wenn wir traurig seien, trösteten mich ein wenig. Ein Dreivierteljahr nach der Diagnose klingelte mein Telefon. Mami war dran, sie sprudelte fast über vor Freude, was man daran merkte, dass sie ins Schweizerdeutsche verfiel – wie immer, wenn sie sich über etwas sehr freute: »Tina, mein Onkologe hat mich angerufen. Meine Laborwerte sind da, ich bin gesund! Alles wird gut, du kannst jetzt deine Weltreise buchen!« Ich war unbeschreiblich glücklich und erleichtert. In diesem Moment fiel mir kein Stein vom Herzen, sondern eine ganze Felswand auf den Boden! Mami war gesund – jetzt wurde alles wieder gut.

Philipp und ich kramten den Atlas erneut hervor, um unsere Reise endlich final zu planen. Nach langem Hin und Her stand es schließlich fest: In drei Monaten, am 20. März 2006, sollte es losgehen. An diesem Tag würde ich also endlich anfangen, meinen großen Traum wahr werden zu lassen. Im Detail würde alles so aussehen: Von München sollte es nach Bangkok gehen, durch Südostasien weiter nach Singapur, von dort aus weiter nach Perth, um dann mehrere Monate durch Australien zu reisen. Anschließend standen noch Los Angeles, New York und Kanada auf unserem Plan. Ich hatte schon öfter davon gehört, dass Leute ihre Weltreise abbrechen mussten, weil ihnen das Geld ausgegangen war. Das sollte uns auf keinen Fall passieren! Wir beantragten ein »Work & Travel«-Visum für Australien und bekamen es nach wenigen Wochen bewilligt, und so buchten wir unser »Around the World«-Ticket. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mein Herz tanzte, als ich die Mail mit meinem elektronischen Ticket öffnete. Endlich sollte sich mein großer Traum erfüllen – und hier war nun die erste Tür, durch die ich dafür ging.

Schritt für Schritt gingen wir weiter auf dem Weg zum großen Abenteuer: Ich kündigte meinen Job, verkaufte mein Auto, managte meinen Umzug zurück nach München und kümmerte mich um eine Auslandskrankenversicherung. Es gab zwar irre viel zu tun, aber alles fühlte sich durch die riesige Vorfreude leicht an. Nur eines nicht: der Gedanke daran, Zürich und der bisher besten Zeit meines Lebens den Rücken zu kehren. Solche Freunde wie diese findet man nicht oft im Leben, aber tief in meinem Herzen war ich mir ganz sicher, dass die bevorstehende Zeit auf Reisen alles bisher Dagewesene noch übertreffen würde. Schließlich gibt es keinen besseren Grund, Altes loszulassen, als den, sich seinen Herzenstraum zu erfüllen. Dieser Gedanke machte mir den schweren Abschied doch auch ein bisschen leichter. Apropos Abschied: Philipp und ich schmissen die größte und legendärste Abschiedsparty, die es im Personalhaus jemals gegeben hatte. So eine Hammerzeit verdiente einfach ein Hammerfinale!

Meine Entscheidung, meinen sicheren Job zu kündigen und auf Weltreise zu gehen, stieß jedoch nicht nur auf Verständnis. Ich kann mich noch gut an den entsetzten Blick einer Kollegin erinnern, als sie mich fragte, wie ich später die Lücke in meinem Lebenslauf erklären wolle und was mein Vater als erfolgreicher Hotelier zu meiner Entscheidung sagen würde. Ihre Frage spiegelt ganz gut wider, welches Gefühl einem bei derartigen Lebensentscheidungen oftmals von außen vermittelt wird. Sie brachte mich zum Nachdenken: Ich war schließlich brav zur Schule gegangen, hatte in der Ausbildung geschuftet, dann sollte es jetzt doch weitergehen auf der Karriereleiter, oder? Mit Mitte 20 eine Weltreise machen – wie sieht das aus in der Vita? Was sollen denn die zukünftigen Chef*innen dazu sagen? Natürlich denken bei Weitem nicht alle so – und gerade heute, so viele Jahre später, hat sich die Einstellung zu Lücken im Lebenslauf und der Work-Life-Balance ziemlich verändert. Heute wird es positiv gesehen, wenn man sich eine Auszeit, ein Sabbatical nimmt und auf die Suche nach sich selbst geht. Damals sprach meine Kollegin aus, was viele vielleicht dachten. Doch obwohl mich ihre Worte zum Nachdenken brachten, war mir bereits damals klar: Ich lebe mein Leben nicht nach den Erwartungen anderer. Es zählt einzig und allein, was man von seinem eigenen Leben erwartet, nach welchen Werten man es leben möchte und wie man für sich persönlich Erfolg definiert. Mein Vater reagierte übrigens sehr gelassen auf meine Pläne und sagte, dass er selbst so oft gereist sei und dabei die wichtigsten Erfahrungen gemacht und seinen Horizont extrem erweitert habe. Zudem würde es ihn als erfolgreichen Hotelier immer beeindrucken, wenn jemand viel herumgekommen sei und sich dann um eine Stelle bewerbe. Auf die Frage nach Erfolg hatte ich zudem bereits damals beschlossen, lieber barfuß zum Strand zu laufen, als mit dem Porsche ins Büro zu fahren. Ich wollte mein eigenes Leben leben – es nach meinen Werten und Vorstellungen gestalten. Meine Eltern bestätigten mir, dass es wichtig sei, dem Ruf des eigenen Herzens zu folgen und nicht dem hinterherzujagen, was die Gesellschaft von einem erwartete. Ich bin sehr dankbar dafür, mit dieser freien Einstellung aufgewachsen zu sein.

Mr. Schicksal ist ein mieser Verräter

Drei Wochen später fuhr ich wegen der letzten Reisevorbereitungen über das Wochenende noch einmal nach Hause. Mami gefiel mir irgendwie überhaupt nicht. Sie sah schlecht aus und hatte große Schmerzen im Rücken. Außerdem waren die Atembeschwerden wieder da. Ich hatte ein ungutes Gefühl und wollte sie eigentlich nicht allein lassen, aber ich musste wegen der Arbeit zurück nach Zürich. Schweren Herzens fuhr ich.

Am nächsten Tag rief Papi an. Er klang sehr besorgt: »Du, Mami geht’s wieder schlecht. Sie ist zurück in der Klinik.« Dieser Satz fuhr mir durch Mark und Bein, plötzlich waren sie wieder da, die ganzen Felsbrocken auf meinem Herzen. Das durfte einfach nicht sein! Nicht Mami, nicht jetzt, so kurz vor der Reise. Mein erster Impuls war eine sofortige Absage der Reise. Wie sollte ich denn um die Welt reisen, wenn es meiner Mutter so schlecht ging? Was, wenn ihr etwas passieren würde, und ich wäre nicht da? Dennoch konnte ich in dem Moment keine klare Entscheidung treffen, und – ganz ehrlich – vielleicht wollte ich es auch gar nicht. Ich wollte, dass Mami mir sagte, dass ich die Reise stornieren solle. Ich wollte diesen Satz aus ihrem Mund hören. Als ich sie in der Klinik anrief, hörte ich, wie schwer sie Luft bekam. Da wurde mir das erste Mal bewusst, wie schlecht es um sie stand. »Wirst du schneller gesund, wenn ich meine Reise absage?«, hakte ich nach, als ich lange keine Antwort auf meine Frage bekommen hatte. »Mir wäre es am liebsten, wenn du deine Reise verschieben könntest.« Dieses Telefonat war so emotional, mir liefen kontinuierlich Tränen über das Gesicht. Ich presste hervor: »Ich verschiebe die Reise, und du versprichst mir hoch und heilig, dass du wieder gesund wirst!« – »Ich verspreche es dir!« Das war das Einzige, was sie aufgrund ihrer Atembeschwerden herausbekam. Auch sie weinte.

Nach dem Telefonat beruhigte ich mich mit dem Gedanken, dass alles seinen Sinn hatte und dass dieses »Opfer« meiner Mutter vom Universum irgendwann doppelt auf mich zurückkommen würde. Ich glaubte das zu diesem Zeitpunkt wirklich – und dieser Gedanke wird nur ein Jahr später auf einer Intensivstation am anderen Ende der Welt eine Rolle spielen. Damals wusste ich einfach nur, dass ich mir den Rest meines Lebens Vorwürfe machen würde, wenn Mami etwas zustoßen würde – und ich wäre nicht da. Wie würde ich außerdem in dieser Situation meinen Traum erleben? Ich wäre zwar auf Reisen, aber in Gedanken die ganze Zeit zu Hause. Ich wäre nicht frei. Ich hatte meine Entscheidung also bereits getroffen, als wir die niederschmetternde Diagnose erhielten: Der Krebs war zurück – und dieses Mal auch mit Metastasen in den Knochen. Von jetzt an war die Gesundheit meiner Mutter unsere oberste Priorität und alles andere zweitrangig. Nur Philipp tat mir leid, er hatte sich so auf die Reise gefreut und auch wie ich seinen Job gekündigt. Ich wusste aber, er würde dieses Abenteuer nicht ohne mich machen. Erschwerend kam hinzu, dass er zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt war und man »Work & Travel« nur bis 30 machen kann. Auch wenn mir in dieser Situation keine andere Wahl blieb, als die Reise abzusagen, tat es mir unendlich leid für ihn. Philipp beschloss, erst einmal zurück nach Potsdam zu ziehen und zu schauen, wie es für ihn weitergehen könnte.

Das Letzte, was ich in meiner Herzensstadt Zürich erledigte, war, mir einen Backpack zu kaufen. Ich war fest entschlossen, in einem Jahr nach Australien zu reisen. Zu Hause hängte ich ihn an meinem Bett an die Wand, denn er sollte mich jeden Tag an meinen großen Traum erinnern.

Drei Tage später besuchte ich Mami in einer Klinik in der Nähe von Innsbruck. Bei ihrem Anblick umklammerte die Angst mein Herz. Sie war so abgemagert und schwach, dass ich es kaum ertrug. Wie konnte eine so starke Person in so kurzer Zeit dermaßen abbauen? Der Krebs stand ihr ins Gesicht geschrieben, und ich war heillos überfordert mit dieser Situation. Mein Vater war bereits auf das Schlimmste vorbereitet, aber ich weigerte mich, daran überhaupt nur zu denken. Ein Leben ohne Mami, wie sollte das gehen? Ich war 24 Jahre alt und nicht bereit dazu, meine wichtigste Ratgeberin und Mentorin gehen zu lassen. Dann kam der 31. März 2006, Mamis 57. Geburtstag.

Mittags rief jemand aus der Klinik an und bat uns, so schnell wie möglich zu kommen, weil es ihr sehr schlecht ginge. Mein Vater fuhr sofort los. Ich wartete auf meinen Bruder, der damals in Nürnberg studierte, und wir fuhren zusammen ins Krankenhaus. Als wir dort ankamen, folgten die drei seelisch schmerzhaftesten Tage meines Lebens. Papi, Thomas und ich wechselten uns ab, sodass immer jemand am Bettrand saß, denn wir wollten sie keine Sekunde allein lassen. Mami kämpfte mit jeder einzelnen Zelle um ihr Leben. Sie war so kurz davor, sich ihren großen Traum zu erfüllen: endlich wieder in ihre geliebte Schweiz zu ziehen. Der Umzug war lange für den 1. April, also einen Tag nach ihrem Geburtstag, geplant gewesen. Am ersten Tag an ihrem Bettrand sagte mir Mami immer wieder, wie wahnsinnig stolz sie auf mich sei. Und dass sie mich liebe. Mein Vater organisierte einen Pfarrer, der ihr die Krankensalbung, die sogenannte letzte Ölung, gab. Wir standen an ihrem Bett, und uns rannen die Tränen herunter. Drei Tage lang betete ich, dass ein Wunder geschehen und sie wieder gesund werden möge. Am dritten Abend, kurz nachdem ihr Bruder und ihre Schwester aus der Schweiz sie noch einmal besucht hatten, kam der Pfarrer und vermählte meine Eltern. 25 Jahre lang waren sie standesamtlich verheiratet gewesen und hatten immer auch kirchlich heiraten wollen. Für meinen Vater war das wichtig, und so waren mein Bruder und ich Trauzeugen. Das war der Moment, an dem ich das alles nicht mehr packte. Ich dachte mir, dass kein Mensch so etwas aushalten könne, dass ich mich in meinem schlimmsten Albtraum befände. Doch es war kein Traum, es war die Realität – die schlimmste Zeit meines bisherigen Lebens. Von diesem Moment an betete ich nicht mehr für ein Wunder, ich betete für ihre Erlösung. Mami war immer eine starke Persönlichkeit gewesen, die ein selbstbestimmtes Leben lebte. Sie nun so zu sehen, brach mir das Herz. Noch am selben Abend, zwei Tage nach ihrem Geburtstag, starb Mami im Kreise meines Vaters, meines Bruders und mir. Ihr letzter Blick galt meinem Vater.

Drei Tage lang hatte die Sonne geschienen, keine einzige Wolke war zu sehen, und es war für Anfang April ungewöhnlich heiß gewesen. Einen Tag nach ihrem Tod aber goss es aus Eimern. Es war, als würde die Welt weinen um diesen außergewöhnlichen Menschen, den sie verloren hatte. Doch im Grunde weinte der Himmel aus Freude, dass er eine seiner größten Seelen wieder zurückbekommen hatte. In dem Moment, in dem Mami starb, hielt ich irgendwie automatisch meine Armbanduhr an. Ohne vorherige Absprache tat mein Bruder das Gleiche. Zuerst wollte ich einfach nur den genauen Todeszeitpunkt wissen, und dann wollte ich diese Armbanduhr nicht mehr wieder zum Laufen bringen – als Symbol, dass auch ein großer Teil meines Herzens gestorben war und nicht wieder schlagen wollte. Doch am nächsten Tag, exakt zwölf Stunden später, lief meine Armbanduhr zur richtigen Zeit wieder, ohne dass ich sie bewusst berührt hatte. Ich sah das als ein Zeichen von Mami. Sie wollte nicht, dass ich einen Teil meines Herzens begrub. Ich denke, sie wollte mir damit sagen, dass der Tod nicht das Ende der Zeit, sondern der Tod die Fortsetzung des Lebens war. Und dass sie selbst immer in irgendeiner Form bei mir sein würde. Es mag also sein, dass die Zeit für Mami nicht mehr weiterticken würde – für mich aber tut sie es.

Trauern, um zu heilen

Simba, let me tell you something my father told me. Look at the stars. The great kings of the past are up there, watching over us. So whenever you feel alone, just remember that those kings will always be there to guide you. And so will I!

MUFASA ZU SEINEM SOHN IN DISNEYS KÖNIG DER LÖWEN

Am Anfang realisierte ich noch gar nicht wirklich, dass Mami nicht mehr da war. Ich stürzte mich in die Organisation der Beerdigung und kümmerte mich um die ganze Bürokratie. Das war auch alles nicht ganz so einfach, da sie in Österreich gestorben war, in Deutschland gelebt hatte und in der Schweiz beerdigt werden sollte. Mamis größter Wunsch war es, in ihrer Heimat Sargans am Fuße ihres Lieblingsberges, dem Gonzen, beerdigt zu werden. Am Tag ihrer Beerdigung strahlte die Sonne vom Himmel. Vorher hatte ich Angst, dass ich zusammenbrechen würde, aber am Tag selbst fühlte ich eine Art innerer Stärke. Mein gesamter Zürcher Freundeskreis war gekommen, und auch das gab mir Kraft.

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